Aus dem Buch „Domgymnasium zu Verden“ von Dr. Clemens-August Borgerding

Seite 281, Direktor Borgerding erlebt die DOG-Pensionäre

 

Die Tafelrunde

 

Wochen nach meinem Dienstantritt im März des Jahres 1978 hatte ich den Entschluss gefasst, die Pensionäre zum Kaffee einzuladen. Frau Günna Warnecke, die treue und vorzügliche Sachwalterin des Sekretariats, gab mir Namen und Anschriften. Sie organisierte alles. Unruhig saß ich am bewussten Tage an dem fürchterlichen alten Schreibtisch in meinem Dienstzimmer und harrte der Dinge. Ein Klopfen an der Zimmertür zeigte an, dass „der Ernst der Stunde" gekommen war.

Frau Warnecke kündigte Herrn Wilhelm Meineke als stellvertretenden Schulleiter an. Der würdige Herr betrat, mich abschätzend musternd, den Raum und meldete: „Herr Direktor, das Kollegium ist versammelt." Ich stutzte. Vielleicht hatte er wirklich vergessen, dass es alles Pensionäre waren? Wir begrüßten uns und er geleitete mich ins Lehrerzimmer, das noch versehen mit dem Nachkriegsanstrich, ausgestattet mit den entsprechenden Gardinen einen tristen Eindruck vermittelte.

Hinter den Stühlen aufgereiht standen sie: Die Lehrkräfte, die nach dem Weltkriege die Schule prägten. Artig nickten sie, den Gruß auf den Lippen murmelnd: „Guten Tag Herr Direktor." Onkel Willi begleitete mich zum Kopf des Tisches und sagte: „Das ist Ihr Stuhl, Herr Direktor. Ich sitze zur Rechten." Das Kaffeetrinken nahm seinen Lauf. Phase für Phase gab mir Onkel Willi Hinweise zu dem, was zu erwarten war.

Kaum war der erste Schluck getrunken und mit der Kuchengabel ein Stückchen zum Munde geführt, da raunte er mir zu: „Gleich steht Herr Krause auf, sagt: „Es zieht", und nimmt eine Stecknadel aus dem Revers und heftet damit die Gardinen zusammen." Es dauerte eine Minute, da stand Herr Krause, genannt Kubo als Abkürzung von „Kunstbock", auf, gab den Spruch von sich und tat so, wie es Herr Meineke vorhergesagt hatte. Wenige Zeit später sagte Onkel Willi: „Nun werden bald Herr Schwarze und Herr Dr. Köster zu streiten anfangen über die Bedeutung und den Sinn von Naturwissenschaften und alten Sprachen für die Bildung schlechthin."

Es kam so. Wortgewaltig, von riesigem Resonanzboden unterstützt, begann Zeus, so nannte man Schwarze in Schülerkreisen, auf hohem intellektuellem Niveau die Königin der Wissenschaften, Mathematik, zu preisen und geringschätzig über den Stellenwert der alten Sprachen im 20. Jahrhundert zu reden. Provoziert reagierte Dr. Köster, genannt Scheich, und es entbrannte ein Disput, von dem Onkel Willi flüsternd sagte: „Das war hier jeden Tag so. Gleich schläft Herr Dr. Suhling ein." Man konnte die Uhr danach stellen und Mac Suhling schlief ein.

 Nachdem alle ehemaligen Lehrkräfte in ihren Schulalltag zurückgefallen waren, nahm das Kaffeetrinken sein Ende und Onkel Willi meldete die Lehrkräfte ab. Es war endlich wieder wie in alten Tagen!