Beitrag von Wilhelm Meineke im Buch Borgerding:

"Domgymnasium zu Verden", Seiten 211 - 231)

 

Die Jahre von 1953-1978

 

Ein für die Schulen des Landes einschneidendes Ereignis war das Inkrafttreten des Schul Verwaltungsgesetzes im Frühsommer 1954, durch das die personellen Kosten der öffentlichen Schulen des Landes auf das Land, die sächlichen aber auf die Gemeinden übergingen. Das bedeutete für die staatlichen Schulen, also auch für das Domgymnasium, daß für die materielle Betreuung (Erhaltung und Ausbau der Gebäude, Ausstattung mit Mobiliar und Lehrmitteln) nicht mehr der Staat zuständig war. Die Gemeinden, in denen eine bis dahin staatliche höhere Schule lag, mußten sich bis zu einem bestimmten Zeitpunkt entscheiden, ob sie die Schule übernehmen wollten oder nicht. Lehnten sie ab, war der Kreis durch das Gesetz verpflichtet, die Schulträgerschaft zu übernehmen. In der Stadt Verden hat es damals ein langes Hin und Her bei dieser Entscheidung über das Domgymnasium gegeben. Die Verwaltung der Stadt mit dem damaligen Stadtdirektor Hoffmann und dem Landtagsabgeordneten (SPD) Bürgermeister Schäfer an der Spitze war für die Übernahme durch die Stadt. Die Meinung der Fraktionen des Stadtrats war geteilt. In der entscheidenden Sitzung siegte schließlich eine geringe, aus Mitgliedern aller Parteien bestehende Mehrheit, die aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus die Übernahme des Domgymnasiums durch die Stadt ablehnte. Dieser Entschluß ist damals viel kritisiert und bedauert worden. Aber es wurde schon bald erkennbar, daß sich die damalige Entscheidung zum Vorteil für das Gymnasium ausgewirkt hat. Es wäre undenkbar und für einen gewissenhaften Berichter auch unverzeihlich, nicht zu bekennen, daß der Landkreis Verden innerhalb kurzer Zeit in materieller Beziehung unser Domgymnasium in einer Weise förderte, wie es das Land Niedersachsen in vielen Jahren nicht getan, aber wohl auch nicht vermocht hatte. Der Kreistag mit allen seinen Fraktionen und die Verwaltung mit dem

Oberkreisdirektor Fritz Berner als treibendem Motor immer voran widmeten sich der neuen Aufgabe, dem Ausbau des Domgymnasiums, mit einer Umsicht und Tatkraft, die in wenigen Jahren die Raumnot beseitigten, in einem Neubau im alten Haus und in einem Neubau in der Verlängerung des Aulatraktes einen neuen, hellen Bibliothekssaal, einen hellen modernen Zeichensaal und Lehr- und Übungsräume für drei naturwissenschaftliche Fächer schufen. Der Sportplatz wurde umgestaltet. Für den Rudersport wurde an der Aller ein Bootshaus erstellt, um das die Schule von vielen Nachbarschulen beneidet wurde, als diese bei uns 1965 zu Gast waren. Damals beging das Domgymnasium das 30jährige Bestehen der von dem Verdener Arzt Dr. Büning 1935 gegründeten Ruderriege mit einer großen Jubiläumsregatta. Durch Ankauf zweier an das Gymnasium grenzenden Grundstücke hat sich der Kreis die Möglichkeit eines großzügigen Ausbaus der Schule gesichert. Weitere bauliche Maßnahmen folgten: die Aula wurde modernisiert, die Eingangshalle umgestaltet, im Keller wurden ein Aufenthaltsraum für die Fahrschüler und ein neuzeitliches Photolabor eingerichtet. Für die Himmelsbeobachtungsstation wurde ein großes Teleskop beschafft. Damit waren günstige Arbeitsbedingungen geschaffen für zwei Arbeitsgemeinschaften, die von den Herren Beuthel und Dr. Suling geleitet wurden. 1969/70 erfolgte der Neubau einer hellen, geräumigen Sporthalle.

Damit in Verbindung wurde der Schulhof völlig umgestaltet. Die große Ulme vor dem Direktorhaus war schon 1954 das Opfer eines Orkans geworden. Die Rasenflächen mußten der wachsenden Schülerzahl als „Pausenauslauf“ geopfert werden. Man brauchte Platz für größere Fahrradständer und Parkplätze für motorisierte Schüler und Lehrer. Der Rest an noch vorhandenem Buschwerk, eine als Ersatz für die gestürzte Ulme an einem „Tag des Baumes" feierlich gepflanzte Blutbuche und einige der alten Linden mußten geopfert werden. Der schmerzlichste Verlust aber war es, daß der in Diecks Zeiten von Professor Eberhard! angelegte und von vielen Biologielehrern liebevoll erhaltene botanische Garten verschwinden mußte. Ein als Ersatz im Garten des Direktorhauses angelegter Schulgarten konnte sich auch nur einige Jahre halten. Der Anschauungsunterricht in der Biologie läuft Gefahr, durch Tafelbiologie ersetzt zu werden. Das Direktorhaus selbst, das in den Notjahren einigen Familien Wohnung bot, hat Klassen- und Werkräume aufnehmen müssen. Für den Direktor baute der Kreis ein Dienstwohnhaus an der Bgm. Urbanstraße. Es wurde zuerst von Direktor Bittners Amtsnachfolger Doß bezogen.

Ostern 1960 trat Kurt Doß, ein gebürtiger Hamburger, bis dahin Oberstudienrat an der Bismarckschule und Ausbilder für Geschichte an einem Studienseminar in Hannover, sein Amt als Direktor des Domgymnasiums an. Die Schule, von der er kam, war eine sogenannte Unescoschule, an der er die besonderen Aufgaben, die solchen Schulen gestellt sind, leitete. Es gab damals in der Bundesrepublik erst sieben solcher Schulen. Der Erfahrung, Initiative und den Beziehungen des neuen Direktors gelang es, bei der Unesco (Schul- und Erziehungsorganisation der Vereinten Nationen) die Aufnahme des Domgymnasiums als zweiter Schule in Niedersachsen und achter in der Bundesrepublik in den Kreis der Unescomodellschulen zu erreichen. Diese Schulen haben die Aufgabe, in Unterrichtsversuchen Themen zu finden, stofflich zu erarbeiten und methodisch zu erproben, die dem Gedanken des gegenseitigen Erkennens und Verstehens der Völker dienen und geeignet sind, zu gegebener Zeit vielen Schulen in aller Welt Anregung und Vorbild zu sein. Das sah bei uns so aus, daß wir z. B. in einer 12. Klasse (Unterprima) das Thema der deutschfranzösischen Verständigung durch eine schwerpunktartige Beschäftigung mit Geschichte, Kultur, Kunst, Literatur, Landes- und Volkskunde Frankreichs behandelten. Oder in einer altsprachlichen 11. Klasse im Rahmen einer großen, von der Unesco gestellten Aufgabe „Ost und West" die Begegnung und Auseinandersetzung von Orient und Okzident im Donau- und Balkanraum als ein großes, sich über zwei Schuljahre erstreckendes Thema wählten, über dessen Durchführung nach Abschluß der Arbeit der Verfasser auf der Jahrestagung der Unescoschulen berichtete. Am Ende jeder größeren Aufgabe stand eine von der Unesco in Paris unterstützte Reise in den behandelten Raum. Nach Überwindung vieler diplomatischer Schwierigkeiten gelang uns z. B. als überhaupt erster Schule aus einem nichtkommunistischen Land eine mehrwöchige Fahrt durch Jugoslawien, wo in Belgrad auch offizielle Stellen von unserer Reisegruppe, die von Studienrat Haselbach und Assessor Grünefeld geführt wurde, Kenntnis nahmen und Besichtigungen und Besuche ermöglichten und unterstützten. Das war zu einer Zeit, da Jugoslawien erst sehr zögernd begann, sich dem Westen zu öffnen. Die enormen Schwierigkeiten, die sich der Durchführung dieser Reise entgegenstellten, kann man erst ermessen, wenn man sich daran erinnert, daß erst fünf Jahre später, zum 1. Januar 1969, endgültig diplomatische Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Jugoslawien aufgenommen wurden.

Schon in den ersten Wochen seiner Tätigkeit war es Direktor Doß gelungen, eine Unesco-Wanderausstellung über Israel nach hier zu verpflichten. Die von Assessor Grünefeld und dazu von ihm vorbereiteten Schülern geschickt aufgebaute und durch Vorträge und Führungen ergänzte Ausstellung trug viel zum Abbau von Unkenntnis und Vorurteilen über Israel bei und war ein voller Erfolg. Die Auslandsarbeit der Schule, im wesentlichen geleitet und koordiniert von Studienrat Haselbach, blühte stark auf. Das längste und wohl beste Austauschverhältnis bestand mit der Kathedralschule in Aarhus. Auch mit dem Charloisgymnasium in Rotterdam gingen mehrere Jahre Besuche hin und her. Ein längeres Verhältnis zu einer englischen Schule wollte sich nicht so recht anbahnen, obwohl fast in jedem Jahre auch ein Besuch Englands durchgeführt wurde, wobei unsere englischen Assistenten, auch für Kontakte mit Schulen, vermittelnd hilfreich waren. Auch Schüler aus Finnland sind einige Jahre regelmäßig in Verden zu Besuch gewesen. In diesem Zusammenhang verdient aber die erste Auslandsreise einer domgymnasialen Klasse überhaupt erwähnt zu werden. Schon im Frühsommer 1953 fuhr Studienrat Hans Christoph, der später als Studiendirektor an das Ratsgymnasium in Osnabrück ging, für drei Wochen nach Italien, eine Reise, für die sich die Teilnehmer das Geld für die nicht geringen Kosten über ein Jahr lang zusammengespart und durch Ferienarbeiten verdient hatten. Finanzielle Unterstützungen gab es damals, als auch noch Schulgeld gezahlt werden mußte, noch nicht. Dies zur Erinnerung denen, die heute an keiner Schulfahrt teilnehmen wollen, wenn nicht irgendeine öffentliche Hand zuzahlt! Mit zunehmender Besserung der wirtschaftlichen Lage wuchs auch die Fahrten- und Wandelfreudigkeit, für die mit dem Unescoschulstatus ein zusätzlicher Auftrieb kam. Es gab im Laufe der letzten 20 Jahre wohl kaum eine Gegend in der engeren und weiteren Heimat, die nicht von Domgymnasiasten besucht wurde. Dazu kamen regelmäßige Fahrten, etwa der Altsprachler in das römische Deutschland an Rhein und Mosel, der Mathematiker zum Deutschen Museum in München, dann die jährlichen Orientierungsreisen an die Mauer in Berlin. Wien wurde besucht und Budapest, in den letzten Jahren auch wiederholt Rom. Spezialist für Frankreichreisen wurde Herr Haselbach, die Herren Dr. Suling und Eidinger führten wohl die meisten Englandfahrten durch. Die Begleiter nach Aarhus und Rotterdam wechselten.

1964 wurde Oberstudiendirektor Doß als Oberschulrat nach Hannover berufen. Er blieb aber Dezernent des Domgymnasiums und hat bis zu seiner Pensionierung, besonders bei der immer heikler werdenden Versorgung mit Lehrkräften, für seine Verdener Schule getan, was möglich und vertretbar war. Dafür sollten Schüler und Schülereltern der 60er Jahre ihm dankbar sein!

Nach dem üblichen Interregnum durch den Verfasser trat im Frühjahr 1965 der Hamburger Studienrat Holger Reimers die Leitung des Domgymnasiums an. Er kam aus Köln, wo er mehrere Jahre die Geschäftsführung der deutschen Unescokommission gehabt hatte. Er war Neusprachler und so in doppelter Hinsicht ein Garant für die Fortführung der von Doß eingeleiteten Auslandsarbeit. Jung und vital, durch seine Unescotätigkeit weit gereist, voller Ideen und Anregungen und für die Wünsche der Schüler aufgeschlossen, dem Kollegium oft zu aufgeschlossen und entgegenkommend, eignete er sich durchaus als Leiter für eine Schule, die in zunehmendem Maße einer sich ändernden, revolutionierenden Jugend gegenüberstand, einer Jugend, die mitreden und mitbestimmen wollte und das sehr bald, oft mit Förderung und Unterstützung durch staatliche Stellen, auch tat. Wie wir heute schon erkennen - nicht überall zu ihrem Besten! Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, ist aber bezeichnend für den neuen, d. h. „progressiven" Geist, daß gerade unter dem Direktorat von Reimers das Domgymnasium von einer mit plattem Sex und Antiautoritätsparolen gefüllten „Untergrund" Gazette für Schüler in die bei der Redaktion dieses Blattes in Frankfurt geführte „Kartei für Lehrerverbrechen" (sie!) aufgenommen wurde. Grund? Aus Anlaß des 390jährigen Bestehens im Jahre 1968 sollte ein Schulfest in allen Räumen, mit von den einzelnen Klassen gestalteten Darbietungen, gefeiert werden. Es sollte ein fröhliches Fest werden, und deshalb lehnte der Direktor das von „progressiven" Oberstufenschülern gewünschte Festmotto „390 Jahre - und nichts dazugelernt!" ab. Prompt behaupteten einige „Progressive", sie hätten deshalb negative Bemerkungen in den Kopfzensuren ihrer nächsten Zeugnisse erhalten, und teilten das der oben angesprochenen Zeitschrift mit. Ob es dieselben waren, die bei dem allgemein als gelungen bezeichneten Schulfest eigene Protestsongs gegen die Amerikaner in Vietnam vortrugen, Hörerwünsche nach Protestsongs gegen die Todesschüsse an der Mauer aber nicht erfüllen konnten? Nach Friedrichs des Großen Grundsatz „Tiefer hängen!" haben wir den ganzen Vorfall nicht beachtet. Wir ließen uns nicht provozieren, auch in den nächsten Jahren nicht, und haben uns und der Behörde viel Ärger erspart, den es an anderen, in die „Lehrerverbrechenkartei" aufgenommenen Schulen gegeben hat. Schließlich kannten wir ja auch alle unsern Schiller: „Schnell ist die Jugend fertig mit dem Wort!"

Ältere Leser dieses Beitrags sind vielleicht geneigt, den Schreiber zu fragen: „Ist denn der Schüler von heute, d. h. von etwa ab 1965, so ganz anders, als wir es früher waren?" Keineswegs, wie wir sehen werden, wenn wir in der Geschichte unserer Schule ein paar Seiten zurückblättern! Es stimmt leider, daß mit dem Inventar oft schonungslos umgegangen wird, aber wenn z. B. 1888 für 145 Goldmark neue Fensterscheiben eingesetzt werden mußten, ist das bei dem damaligen Geldwert und bei einer Schülerzahl von weniger als einem Drittel der heutigen auch kein Beweis von jugendlichem Wohlverhalten. Schlägereien von Schülern mit Soldaten, Polizisten und Wirtshausgästen sind in dem Vierteljahrhundert, da der Berichterstatter Lehrer am Domgymnasium war, nicht vorgekommen, waren aber in Jahrzehnten der guten alten Zeit oft an der Tages- und „Nachtordnung". In dieser Zeit wurde sogar einmal gegen einen Schüler in einer Mordsache ermittelt. In neuester Zeit kam nur gelegentlich Polizei ins Haus, wenn Haschdealer gesucht wurden oder, wie im Juni 1972, um einer Bombendrohung, vermutlich einem schlechten Scherz oder miesem Racheakt, nachzugehen. Wenn die Schüler unserer Tage „Haschen" einmal versucht haben müssen, „Rauchen" (übrigens seit Jahren amtlich erlaubt und kultusministeriell durch Anweisung zur Einrichtung von Raucherzimmern in den Schulen abgesegnet!) so erwachsen macht, dem Alkohol „zugesprochen" wird und die „Liebe" noch immer eine Himmelsmacht ist, so lassen sich dazu auch Parallelen in den Akten finden. Sie berichten von Pfeifenrauchen und Trinkgelagen. Die Schüler seien (so einmal wörtlich) „dem Bacchus und der Venus ergeben", wobei statt Bacchus wohl besser Gambrinus gelesen würde. Daß die wilden und unruhigen Zeiten am Anfang und in der Mitte des vorigen Jahrhunderts auch die Schuljugend erfaßte, wen wundert es? Da entlief z. B. der jüngste Bruder des späteren Bürgermeisters Pfannkuche dem Elternhaus des Pastors an St. Johannis und der Sekunda des Domgymnasiums, kam über Helgoland nach England, wo er in der königlich-deutschen Legion anmusterte und doch noch ein „ordentlicher Mensch" wurde, wenn man einen königlichhannoverschen Generalleutnant, als der er 1869 starb, als solchen gelten lassen will. Daß die Schüler in den Studenten der Reaktionszeit und den Barrikadenkämpfern der Revolutionsjahre Vorbilder sahen, daß sie sich „burschikos" benahmen, ehe sie Burschen wurden, wen wundert es? Daß sie, um zwei beliebte Figuren der vormärzlichen Satire anzuführen, als jugendliche „Wühlhuber"typen bei den spießbürgerlichen „Heulmeiern" Anstoß erregten, wen wundert es? Es war eben alles schon einmal da! Das wolle man doch bedenken, wenn in unsern Jahren langhaarige und in der Schäbigkeit geflickter und verblaßter Jeans uniformierte Jugendliche, auch in unserer kleinen Stadt, ihren ordnungs- und obrigkeitsgläubigen Mitbürgern zum Ärger, heute gegen „dies" und morgen für „das" demonstrierend, die Fußgängerzonen zweckentfremden.

Doch wie es in früheren Zeiten (selbst unter dem gestrengen Dieck, als etwa eines Morgens am Lugenstein die Professoren ihre Dienstwohnungen nicht verlassen konnten, weil über Nacht die Haustür von außen zugemauert war) nicht an übermütigen Pennälerstreichen wie in Spoerls „Feuerzangenbowle" oder Ecksteins „Besuch im Karzer" gefehlt hat, durften auch die Kollegien im letzten Vierteljahrhundert gelegentlich herzlich lachen (natürlich nur hinter den geschlossenen Türen des Konferenzzimmers), wenn z. B. ein inzwischen verstorbener eifriger jüngerer Kollege die Stadtwerke alarmierte und Gasspürer anforderte, weil es penetrant nach „Gas" roch. Was fanden nach mehrstündigem Suchen die ehrbaren Männer? Eine Patrone zum Vernichten von Erdratten, von einem Schüler vom Lande mitgebracht und präpariert, die, um die Spürer durch das ganze Gebäude zu locken und möglichst viele Klassen von der „Störung" profitieren zu lassen, nach jeder Stunde in einem ändern Raum versteckt wurde. Oder wenn, angeregt wohl durch Gogols „Tote Seelen", der nicht existente Schüler Oelmann längere Zeit hindurch ein „durch Fehlen wegen Krankheit" gezeichnetes Dasein im „Kunzekalender" eines zerstreuten und an schlechtem Personengedächtnis leidenden Physikers fristete. Oder wenn, bei einer „angeordneten" Schulfeier eine von einem Lausbuben dem Chorleiter in den Rockschoß geklemmte und nach seinen lebhaften Dirigierbewegungen rhythmisch wippende Wäscheklammer statt des zu beachtenden Ernstes unterdrückte Heiterkeit erregte. Sunt pueri pueri!

Daß ähnliche Ereignisse in der Geschichte auch ähnliche Folgeerscheinungen nach sich ziehen, zeigt auch die Geschichte des Domgymnasiums. Nach dem Zusammenbruch von 1918 glaubten die neuen Herren, die Republik von Weimar durch Verbreitung des demokratischen Gedankens und durch die Einführung von Mitbestimmung und Mitarbeit der Bürger auf möglichst vielen Gebieten des öffentlichen Lebens stabilisieren zu müssen. In Menges Schulgeschichte heißt es: „die Wünsche nach Neuerungen überstürzten sich, die Schule sollte für den neuen Staat ersetzen, was er aus dem alten nicht übernehmen wollte... Die Schüler sollten in einer Schulgemeinde an den Dingen der Schule beteiligt werden, die Eltern im Elternbeirat zur Einwirkung auf die Schule herangezogen werden." Aber (wieder Menge) „die Begründung einer Schulgemeinde wurde in einer Versammlung von Lehrern und Schülern abgelehnt. Auch für die Begründung eines Elternbeirats zeigte sich wenig Interesse... und einzigen Mal mit zwei Wahl vorschlagen ein Elternbeirat gewählt; seitdem hat man sich die Wahl durch Einigung auf einen einzigen Wahlvorschlag erspart." Es war nicht etwa konservativ-sturer Kleinstadtgeist, der aus dieser zurückhaltenden Einstellung der Eltern gegenüber den Möglichkeiten der Mitwirkung in Schulangelegenheiten spricht, sondern Zeugnis tiefen Vertrauens zur Lehrerschaft und ein Wissen davon, daß auch die schulischen Dinge weitgehend von den harten politischen und wirtschaftlichen Tatsachen nach einem verlorenen Kriege bestimmt werden, deren Auswirkungen keine demokratische Institution wegreden kann. Die demokratische Betätigung der Schüler beschränkte sich auf die am Schuljahrsbeginn vorgenommene Wahl eines Klassensprechers, der dem Klassenlehrer Wünsche der Klasse mitteilte und eine Mittlerstellung einnahm. Im übrigen bestand bei der Überschaubarkeit des Domgymnasiums (1923 gab es 272 Schüler und 15 Lehrer) stets ein so gutes Schüler-Lehrerverhältnis, daß zur Ausräumung von „Problemen" das direkte Schüler-Lehrergespräch genügte, ohne Vermittlung durch einen Elternbeirat. Ausgesprochene „Ekelpakete" von Lehrern haben sich, wenn es sie überhaupt einmal gab, am Domgymnasium nie lange halten können. Das trifft jedenfalls für die Zeit von 1919 bis heute zu, die Zeit, die der Verfasser überschauen kann. In der nationalsozialistischen Zeit konnte von einer demokratischen Mitwirkung von Schülern und Eltern keine Rede sein. Die Hitlerjugend redete mit. Ihr Führer von Schirach hatte einen größeren Einfluß auf Hitler als der schwächliche Reichserziehungsminister Rust.

Bald nach der Wiederaufnahme eines geregelten Schulbetriebes 1946 begann die „Demokratisierung" im Schulwesen. Bei der nun in unserm Vaterlande herrschenden Kleinstaaterei gingen die Länder als Träger der Kulturhoheit verschiedene Wege, was Tempo und Inhalt der Neuregelung betraf. In Niedersachsen überstürzte und übertrieb man zunächst nichts. Die materiellen Belange und Bedürfnisse der Schulen nahmen in den ersten Jahren Zeit und Kraft der Schulbehörden weitgehend in Anspruch. In einem hatte es der sozialdemokratische Kultusminister Grimme allerdings sehr eilig, nämlich im Verbot der körperlichen Züchtigung der Schüler. Es konnte sich so die kuriose Situation ergeben, daß Lehrer wegen Verstoßes gegen das Züchtigungsverbot gerichtlich bestraft wurden, während Viehdiebe mit Bewährung davonkamen, weil ihnen die „Hungersituation" der Bevölkerung zugute gehalten wurde. Erst allmählich, dann aber mit bürokratischem Perfektionismus, wurde ein förmliches Mitwirkungssystem von Schülern und Elternschaft aufgebaut, das im einzelnen mit seinen Wahlordnungen und Befugnissen darzustellen hier zu weit führt, zumal da es inzwischen auch z.T. geändert ist. In groben Zügen sieht die Demokratie in der Schule so aus. Da gibt es den Klassensprecher, von der Klasse gewählt. Er gehört dem Schülerrat an. Die Vollversammlung aller Schüler wählt den Schulsprecher, der den „Rat" und die „Versammlung" jederzeit einberufen kann. Der Schulsprecher bildet mit Beisitzern und Vertretern die Schülermitverwaltung, die Mitverantwortung tragen soll. Jede Klasse hat einen dreiköpfigen Elternrat, dessen Vorsitzender dem Schulelternrat angehört, der seinen Vorsitzenden und zwei Beisitzer wählt. Jeder Vorsitzende kann Versammlungen, der Klasseneltern oder der Elternvollversammlung, einberufen, zu denen die Lehrer und der Direktor eingeladen werden können. Der Schulelternrat kann auch ohne Wissen des Direktors oder der Lehrer mit dem Schulträger und der Aufsichtsbehörde in Verbindung treten. Die Mitarbeit und das Mitspracherecht sind so weit entwickelt, daß Eltern den Unterricht besuchen dürfen und Schüler- und Elternvertreter an Klassen- (also auch an Versetzungs-) und an allgemeinen Konferenzen teilnehmen. Bei dieser weitgehenden „Zulassung der Öffentlichkeit" ist also den Lehrern, wie den Politikern in den Parlamenten, weitgehend die Möglichkeit gegeben, „zum Fenster hinauszureden". Daß von ihr Gebrauch gemacht werden wird, wenn sich jemand beliebt machen oder etwas werden will, ist bei der Charakterschwäche vieler Menschen nicht zu bezweifeln. Die ganze Einrichtung dieser Mitwirkung kann sich sehr positiv auswirken, wenigstens im Eltern-Schule-Bereich. Im Schülerbereich besteht die Gefahr, daß politisch-radikale Tendenzen, die bei uns meist aus dem „progressiven" Hochschulbereich einer benachbarten Großstadt infiltriert werden, die Atmosphäre kameradschaftlicher Zusammenarbeit stören. Hier steht und fällt die ganze Institution mit der Person des Elternratsvorsitzenden und des Schulsprechers und seiner Mitarbeiter. Unter den Schulsprechern haben wir sehr aktive und einfallsreiche, verantwortungsbewußte Schüler in der Schülermitverwaltung gehabt, unter deren Führung auch sonst gleichgültige und uninteressierte Schüler echte „Mitverantwortung" zeigten und „Mitarbeit" leisteten. Zu nennen sind hier Betreuung der Unterstufenklassen, Unterstützung der Lehrer bei Schulfahrten und Wanderungen, Mithilfe bei der Aufrechterhaltung von Ordnung und Sauberkeit im Schulbereich, Übernahme von Sammlungen und Verkäufen, etwa von Unicefkarten, Planung und Durchführung von Klassen- und Schulveranstaltungen, Verbindung zu anderen Schulen, Herausgabe von Schüler- und Schulzeitungen (z. B. „Von 8 bis l"). Stellvertretend für alle seien hier Geerds (heute Oberkreisdirektor in Stade) und Hoffmann (heute Pastor in New York) genannt. Da in dieser Schüler-Lehrer-Schulbeziehung das Positive bislang die Regel war, wollen wir dem Negativen (was Sachen und Personen angeht) nicht die Ehre des Erwähntwerdens antun! Erwähnt werden muß aber noch die Einrichtung des Vertrauenslehrers, der als „ehrlicher Makler" gestörtes Vertrauen zwischen Schülern und Lehrern wiederherstellen und bei Disziplinarsachen für die betroffenen Schüler als „Vormund" auftreten soll. In diesem Amt haben sich jüngere, von der Schülerschaft gewählte Lehrer im allgemeinen bewährt. Wenn es überall Betriebsräte gibt, darf natürlich die Schule nicht fehlen. Obmann und Personalrat vertreten die Interessen des Kollegiums gegenüber dem Schulleiter und der Behörde und werden zu Personalfragen gehört. Hier hat auch das Gesamtkollegium ein Mitspracherecht. Auch die Berufsorganisationen reden auf höherer Ebene mit. Ihre oft rivalisierenden Meinungen und Absichten können leider dem kollegiumsinternen Klima abträglich werden.

Ob diese weitgehende Demokratisierung sich letzten Endes positiv auf die Leistungen der Schule auswirken und einem wohlverstandenen Interesse der Jugend dienlich sein wird, muß sich noch erweisen. Fest steht aber schon jetzt, und das kann ein kritischer Beobachter auch am Domgymnasium nicht übersehen, daß seit etwa zehn Jahren, ähnlich wie beim Schüler, auch das Bild des Lehrers in der Wandlung begriffen ist. Wie es viele Schüler ablehnen, im Lehrer mehr als nur den Wissen vermittelnden „Pauker" zu sehen, und sich bewußt erzieherischer Einflußnahme entziehen, so beschränken sich viele Lehrer in ihrem Beruf auf reine Wissensvermittlung. Für den Schulleiter wird es immer schwerer, diese oder jene zusätzliche Leistung zu fordern, zu der ein Lehrer seiner Meinung nach nicht gesetzlich verpflichtet ist, wobei er aber häufig seine Dienstvorschriften nicht genau kennt. Beständiger Kleinkrieg um Aufsichten, Vertretungen, wenn sie nicht wie Überstunden bezahlt werden, Wanderungen und Bildungsfahrten ohne Tagegeld beweisen, daß an die Stelle des Lehrers, der seinen Beruf aus Berufung und pädagogischem Impetus erwählt hat, der gewerkschaftlich organisierte pädagogische Arbeiter tritt, der auch den Streik als Kampfmittel zur Erreichung wirtschaftlicher Vorteile nicht immer und grundsätzlich ablehnt. Wenn es auch menschlich verständlich ist, daß der Lehrer auch haben möchte, was alle sich nehmen, nämlich ein möglichst großes Stück von dem Kuchen „Bruttosozialprodukt", so ist dennoch zu beklagen, daß der Materialisten schlechtes Beispiel die guten Sitten der Idealisten verdirbt. Viel Schuld an dieser Entwicklung haben die Regierungen und die sie tragenden Parteien. Sie haben oft allzu schnell den Forderungen der Interessenverbände, ob aus Mangel an Rückgrat oder aus Furcht, es mit dem Wahlvolk zu verderben, nachgegeben und in allen Zweigen der Verwaltung neue Besoldungsgruppen eingerichtet, automatische Beförderungen, höhere Einstufungen, bislang völlig unbekannte Amtsbezeichnungen geschaffen, obwohl die anfallende Arbeit das nicht immer rechtfertigt. Am Domgymnasium leistete der Oberstudienrat Dr. Oldecop von 1945 bis 1952 sowohl seine eigentliche Arbeit als Verwaltungsoberstudienrat wie die des Schulleiters, und das bei 600 Schülern. In Zeiten langer Erkrankung des Schulleiters oder einer Vakanz tat und konnte der Direktorvertreter dasselbe. Dann wurden einige Studienräte mit einer Stellenzulage zu Oberstudienräten ernannt, weil sie als Fachleiter ihrer Fächergruppe (ein völlig neuer Posten), Ausbilder von Referendaren oder als Bibliothekar tätig sind. Nun werden alle Studienräte nach sechs Jahren Oberstudienräte, früher eine Leistungsbeförderung. Der Verwaltungsoberstudienrat erhielt die Amtsbezeichnung „Studiendirektor". 1972 erhielt das Domgymnasium einen zweiten „Studiendirektor" (Erhard Böhnel). Die Arbeit, die um 1950 Dr. Oldecop allein leistete, verteilt sich heute auf drei Kräfte, bei annähernd gleicher Schülerzahl. Und im Jubiläumsjahr, wo dem Gymnasium noch die beiden Unterklassen genommen sind, wird es wahrscheinlich noch einen dritten Studiendirektor geben. Dann wurde die Stelle eines Schulassistenten geschaffen. Er soll die „Pädagogen" von nichtpädagogischen Arbeiten entlasten. Er hat der Schulsekretärin, dem Bibliothekar, den Naturwissenschaftlern bei Ordnungs- und Vorbereitungsaufgaben zur Hand zu gehen und macht, wenn er handwerklich geschickt ist, auch kleine Reparaturen am Lehrmaterial. Daß ein Assessor, je nach seinen Examina, schon nach zwei bis vier Jahren Anspruch auf Ernennung zum Studienrat hat und der Referendar bereits besoldet wird, bedarf in einem sozialen Staat eigentlich keiner besonderen Erwähnung.

Das ist die eine Seite der Medaille. Damit aber nicht der Eindruck entsteht, daß Lehrersein ein reines Honigschlecken ist, muß auch die andere beschrieben werden. Ein großer Teil der Zeit, die dem einzelnen Lehrer durch Verteilung der Arbeit auf mehrere gegeben wurde, ist ihm wieder genommen durch Dinge, die früher meist kürzer, aber doch meist mit gleichem Erfolg erledigt wurden. Waren sich früher der Lehrer und der Vater eines schlecht benoteten Schülers nach kurzem Gespräch in einer Pause auf dem Schulflur bald einig in der Meinung, daß sich der faule Bengel nur ordentlich auf den Hosenboden zu setzen brauche", so gibt es heute stundenlange Diskussionen darüber, wie „man das frustrierte Kind zur Kreativität motivieren könne"! Fach-, Klassen- und Gesamtkonferenzen nehmen viele Stunden in Anspruch. Klassen- und Elternversammlungen, Elternsprechtage und Elternbesuche liegen sämtlich außerhalb der eigentlichen Unterrichtszeit und kosten viele Stunden und noch mehr Nervenkraft. Berichte und Gutachten, Entwürfe für Unterrichtsversuche, Beurteilung und Erprobung neuer Lehrmittel und Methoden: lauter Dinge, die von der Peripherie unserer unterrichtlichen Tätigkeit früher heute ins Zentrum gerückt sind, wobei oft und leider der eigentliche Unterricht, die „Arbeit vor Ort", an die Peripherie rutscht. Die Unruhe, die seit dem ersten Versuch, den sogenannten Rahmenvereinbarungen der Kultusminister von Saarbrücken, dem föderalistischen Schulchaos in der Bundesrepublik zu Leibe zu rücken, mit einer Flut von Verordnungen, Reformplänen und Experimenten in die Schulen eingezogen ist, zehrt an den Nerven von Lehrern und Schülern und hat bis jetzt zu sichtbaren und dauernden Erfolgen noch nicht geführt, es sei denn, man hält die Quantität von Abiturienten und Studenten für entscheidender als die Qualität. Ob Pädagogen von Natur aus unruhige Geister und veränderungssüchtige Neuerer sind? Man wird versucht, diese Frage zu stellen, wenn man nur im Blick auf die Fülle von Lehrbüchern und deren beständigem Wechsel liest, was ein Abiturient des Domgymnasiums von 1861, Pastor Hashagen, in seinen Erinnerungen „Aus der Jugendzeit" (1908 in 2. Auflage erschienen) schreibt: „Bei meinen Kindern ist mir später der sehr häufige Wechsel der Lehrbücher aufgefallen. Ich habe einige davon miteinander verglichen und erkenne natürlich gerne an, daß die neueren durchweg einen Fortschritt gegenüber den älteren bezeichnen. Indessen manchmal konnte ich kaum einen triftigen Grund entdecken, warum man so rasch wieder ein neues Lehrbuch einführte. Auch darf ich hinzufügen, daß ich nicht den Eindruck gewann, meine Kinder hätten aus den neuen Büchern, wenige Ausnahmen abgerechnet, leichter, rascher, besser und mehr gelernt, als wir aus den alten. Die Gellertsche Fabel von dem bald an dieser, bald an jener Seite auf gestutzten Hut enthält eine auch auf dies Gebiet anwendbare wertvolle Lehre, deren bessere Beachtung den Eltern, welche die Bücherrechnungen zu bezahlen haben, gewiß recht willkommen sein würde." Wenn die Vermutung, das Geschäft mit der Herausgabe von Schulbüchern müsse recht lukrativ sein, sicher nicht ganz von der Hand zu weisen ist, muß doch berücksichtigt werden, daß ein vielgegliedertes Schulsystem auch ein größeres Angebot von Lehrbüchern erfordert, das auf Fächer- und Sprachenfolge abgestimmt ist, wie es z. B. auf das Domgymnasium zutrifft. Hier sah die Schulform 1950 so aus: Die Klassen 5 bis 8 hatten gemeinsamen Unterricht mit Englisch in 5 und 6 und Englisch und Latein in 7 und 8. Dann erfolgte die Gabelung in den gymnasialen Zug mit Latein und Griechisch ab Klasse 9 und den mathematisch-naturwissenschaftlichen mit Englisch und Latein. Die g- und m-Klassen hatten mit gelegentlichen geringen Schwankungen nach der einen oder anderen Seite annähernd die gleichen Schülerzahlen. 1951 gab es zum ersten Male wieder ein gymnasiales Abitur. Im Jubiläumsjahr 1953 hatte die Schule 602 Schüler, davon 10 g- und 13 m-Abiturienten. Diese Zweigliederung bestand unangefochten bis 1965. In diesem Jahre wurde am Domgymnasium offiziell die Koedukation eingeführt, die am bisherigen Mädchengymnasium (jetzt „Gymnasium am Wall") schon bestand und dort Mittel- (heute Real-) Schulabgängern mit Französischkenntnissen den Erwerb eines neusprachlichen Reifezeugnisses ermöglichte. Nun regten sich Kräfte, die durch die Einrichtung eines dritten, rein neusprachlichen Zweiges ab Klasse 11 auch den Domgymnasiasten die Möglichkeit für ein neusprachliches Abitur geben wollten. Unter Direktor Bittner ist ein schon damals in diese Richtung gehender Antrag abschlägig beschieden worden. Angeblich fehlte es an den erforderlichen neusprachlichen Lehrkräften dafür.

Jetzt, ab Ostern 1966, trat folgende Änderung in Kraft: Abiturabschluß des altsprachlichen Zweiges mit Deutsch, Latein, Griechisch, des mathematischnaturwissenschaftlichen mit Deutsch, Mathematik, Physik und neu, ein Abschluß mit Deutsch, Englisch, Latein. Latein bleibt zweite Fremdsprache ab Klasse 7 (im Gegensatz zum reinen neusprachlichen Gymnasium mit Französisch als zweiter Fremdsprache). Wahlfrei können die Schüler aller drei Zweige Französisch lernen und darin auch eine Note im Reifezeugnis erwerben.

Es muß hier ein neues „Hauptfach" für die Oberstufe genannt werden, dessen Reifezeugnisnote für die Zulassung zu einer Hochschule eine bedeutende Rolle spielt: die sogenannte „Gemeinschaftskunde", ein Gesinnungsfach aus Geschichte, Erdkunde, Wirtschaftskunde, Rechts- und Sozialwissenschaft, Politologie und möglichst auch noch Futurologie. Da es den Lehrer für dieses „Allround" fach bislang noch nicht gab, sind es besonders „progressive" junge Politologen und Futurologen an den neu gegründeten Universitäten, die in diese Angebotslücke stoßen und Studenten ausbilden, denen dann als Lehrer die Aufgabe obliegt, unsere Jugend zu guten Staatsbürgern im Sinne einer demokratischen, rechtsstaatlichen und freiheitlichen Gesellschaftsordnung heranzubilden. Man kann nur hoffen, daß die Schöpfer dieses Faches Frischs „Herr Biedermann und die Brandstifter" gelesen haben.

Auch sonst kann das Jahr 1966 nicht auf einem Ruhmesblatt in der Geschichte der Schule vermerkt werden. Die bundesdeutschen Kultusminister glaubten wohl, etwas zur Beschleunigung der Einigung Westeuropas beitragen zu müssen, als sie den Beginn des Schuljahres vom Ostertermin auf die Zeit nach den Sommerferien verlegten, einen Termin, den es bei unsern westlichen Nachbarn, in Österreich und Bayern schon immer gab. Um das nun möglichst schnell zu tun, dachte man (in Niedersachsen regierte damals die große Koalition aus CDU und SPD) sich etwas Besonderes aus: das Kurzschuljahr! Nach Ablauf von zwei von diesen „Jahren" hatte man dann auf den Herbstbeginn umgestellt. Das erste Kurzschuljahr dauerte vom 18. April blis zum 30. November 1966 und endete mit großzügigster Versetzung. Das zweite begann am 5. Dezember 1966 und endete am 1. Juli 1967. Am 15. August begann dann das Schuljahr 1967/68. Die damals zu uns kommenden „Sextaner" mußten in Deutsch und Rechnen den Grundschullehrstoff von acht Monaten auf dem Gymnasium nachholen, und die 26 Abiturienten vom 29./30. Mai mußten auf 140 Stunden Mathematik, 140 Stunden Physik, 90 Stunden Chemie und ähnliche Stundenzahlen in den ändern Fächern verzichten. Daß auch alle ändern Klassen noch für Jahre unter diesem Verlust von acht Unterrichtsmonaten litten und die Abiturienten von Mai bis Oktober herumgammelten, weil sie nicht mit ihrem Studium oder Wehrdienst beginnen konnten, ist das Opfer, das die Politiker von der Jugend für die Einigung Westeuropas, die seitdem ja auch Riesenfortschritte gemacht hat, verlangten. Und noch eine Randerscheinung des Schuljahresbeginns nach den Sommerferien: da diese „gleiten", ergeben sich Unterschiede in der Länge des Schuljahrs bis zu sechs Wochen.

Nachdem schon seit 1953 Latein oder Mathematik nach einem sogenannten „Vorabitur" aus dem Fächerkanon der Abschlußklasse ausgeschieden ist, was beim Fehlen eines Unterrichtsjahres ja automatisch eine Niveausenkung bewirkt, erfolgte 1970 eine weitere „Entschärfung" der Reifeprüfung. Etwa zwei Wochen vor der mündlichen Prüfung erfährt der Prüfling die Ergebnisse seiner Prüfungsarbeiten und alle schon festliegenden Noten des Reifezeugnisses. Gleichzeitig wird ihm gesagt, ob er überhaupt noch ins Mündliche kommt und in welchen Fächern. Für die letzten acht bis zehn Tage vor dem Mündlichen fällt der Unterricht für die Abiturienten aus, damit sie sich für die Fächer ihrer mündlichen Prüfung vorbereiten können. Vielleicht wird im Jahre 1980, wenn es möglicherweise keine Reifeprüfung mehr gibt, in einem Rückblick auf die Geschichte der Reifeprüfung daran erinnert, daß vor 150 Jahren vom 1. bis 3. März 1830 unter Direktor Cammann die erste Reifeprüfung am Domgymnasium stattfand, der sich 4(!) Primaner 3 Tage lang unterziehen mußten, bis sie das Urteil „Bestanden" erhielten. Unter Direktor Freytag wurde 1876 nach einer neuen Ordnung geprüft, die als Auszeichnung für besondere Leistungen die Befreiung vom Mündlichen zuließ. Freytag schaffte auch die hier übliche Prüfungskleidung aus Frack, Zylinder und weißen Handschuhen ab. Seit Ende der 60er Jahre erscheinen immer weniger Schüler zur Prüfung im „Sonntagsstaat". Ostern 1927 fiel die Befreiung vom Mündlichen als Auszeichnung wieder weg. An ihre Stelle traten Prädikate. Die Aushändigung der Reifezeugnisse in einer Entlassungsfeier war Vorschrift und bis zum Ende der 60er Jahre ein unangefochtener schöner Brauch. Mit Zunahme der „Progressivität" bürgerte, wenn in diesem Zusammenhang ein so konservatives Wort gestattet ist, es sich ein, daß manche Klassen sich ihre Zeugnisse im Sekretariat abholten, etwa wie eine Bescheinigung für Fahrpreisermäßigung bei der Eisenbahn. Der beglückwünschende und verabschiedende Händedruck des Direktors war nicht mehr gefragt. Die für soviel offen gezeigte Verachtung und Undankbarkeit Verantwortlichen sitzen nicht in der Lehrerschaft des Domgymnasiums!

In der Reifeprüfung vom 9./10.5.1972 wurde zum letzten Mal im Fach „Griechisch" geprüft. Damit war es mit dem altsprachlichen Charakter des Domgymnasiums endgültig aus. Im Jubiläumsjahr 1978 wird zum letzten Mal eine Abschlußprüfung durchgeführt, die noch einige Ähnlichkeit mit einem Abitur, dessen Wandlungen in 150 Jahren oben skizziert sind, haben wird. Im Rahmen der niedersächsischen Verwaltungs- und Gebietsreform wurde die Aufsichtsbehörde des Domgymnasiums, die seit dem Ende der Franzosenzeit immer ihren Sitz in Hannover hatte, an die Regierung in Lüneburg verlegt. Alle diese Veränderungen und Neuerungen, die seit dem letzten großen Jubiläum durchgeführt sind, haben sich offensichtlich hervorragend bewährt. Das jedenfalls muß man annehmen, wenn man erfährt, daß bei einer Schülerzahl von 600 im Jahre 1953 23 Abiturienten das Domgymnasium verließen, 1975 bei 700 Schülern aber 52. Diesen „Reifeprüfungsbericht" kann der Verfasser mit einer erfreulichen Mitteilung abschließen. Am 8. Mai 1976 wurden die 60 Abiturienten des Jahrgangs 75/76 „feierlich in der Aula verabschiedet und feierten am Abend desselben Tages im „Grünen Jäger" mit Eltern, Lehrern und Freunden einen festlichen Abiturball nach langen Jahren der Abstinenz" (zitiert nach einem Bericht des letzten Direktors Dr. Lagemann).

Es bleibt dem Verfasser noch, Namen und Gestalten der Lehrer, die das Domgymnasium im letzten Vierteljahrhundert prägten, für die Erinnerung festzuhalten. Das kann natürlich nur bei denen geschehen, die längere Zeit an der Schule tätig waren. Für eine nicht annalistisch detaillierte Darstellung wie diese, können die vielen Referendare, die bis 1966 hier im Vorseminar ausgebildet wurden und von denen einige, z. B. Oertel in Pretoria, Rechtmann in Osterholz, Dr. Römer in Göttingen als Oberstudiendirektoren tätig sind, nicht genannt werden, und auch nicht die Assessoren und Assessorinnen, für die das Domgymnasium nur eine Station auf ihrem Wege zur Anstellung oder zu einer anderen Beschäftigung war. Es sind drei Altersgruppen, die den Kern des Lehrkörpers gebildet haben.

Die Generation der Zwischenkriegszeit trat um 1950 ab. Der Altphilologe Theodor Scheele, der 1928 bei dem Festkommers für sein vom minimus der Sextanorum Rudolf Himstedt vorgetragenes Gedicht „Amati condiscipuli des alten Domgymnasii" stürmischen Beifall erhielt, starb im Herbst 1947. 1951 trat der Germanist Rudolf Hermann in den Ruhestand, bald darauf der aus Ostpreußen gekommene Germanist Sowa und der Mathematiker Dr. Jung. Im Spätsommer 1951 verstarb plötzlich Assessor Merkel aus Achim, ein vielversprechender Nachwuchslehrer. 1952/53 wurden pensioniert oder gaben ihre Lehrtätigkeit auf: Erich Wessel, seit 1923 als Turn- und Zeichenlehrer am Domgymnasium, als vielseitig begabter und bis zu seinem Tode 1974 rastlos tätiger Maler und Zeichner, als freundlich-bescheidener Mensch in Stadt und Land bekannt und in bester Erinnerung; Dr. Oldecop, an anderer Stelle dieses Berichts gewürdigt; der Altphilologe Dr. Erich Henning, ein interessanter, anregender und erfolgreicher Lehrer mit weit gespannten Interessen, Verfasser der Festschrift von 1953, gestorben ebenfalls 1974; der Geograph und Anglist Hugo Krieger aus Ostpreußen und Dr. Max Hauck, ein gütiggestrenger Altphilologe aus Schlesien. 1955 trat Otto Schellenberg, Erdkunde, Geschichte und Deutsch, in den Ruhestand, weit bekannt als Jäger und Freund eines guten Tropfens, auch als Lehrer dem Motto „Leben und leben lassen" folgend. 1957 schieden aus gesundheitlichen Gründen der Oberstudiendirektor Alfred Breitkopf (Mathematik und Physik) und der Anglist und Historiker Günther Marose vorzeitig aus. 1959 verstarb dann Direktor Bittner, seit Jahren schwer krank, aber bis zuletzt voller Energie und Pläne, immer wieder im Unterricht, ein Vorbild an Pflichterfüllung und Einsatz. 1961 trat der Germanist und Historiker Dr. Franz Kegler vorzeitig in den Ruhestand. Er betreute unsere große Bibliothek in den turbulenten Jahren des Umbaus. Die 1962 auf eigenen Wunsch erfolgende Versetzung von Hans Christoph, eines vitalen und gründlichen Altphilologen, des Neubegründers des Rudersports, nach Osnabrück, wurde schon erwähnt. Auch nach Osnabrück, und zwar als Dozent an der P.H., ging der Kunsterzieher und Sportlehrer Siegfried Konrad, der unserer Laienspielschar manches schöne Bühnenbild entwarf und baute. Sein Nachfolger wurde Studienrat Breyer vom Mädchengymnasium in Verden. Er blieb bis 1970. Der Werkunterricht erfuhr durch ihn eine erfreuliche und vielseitige Belebung. 1964 trat Oberstudienrat Karl Kleinschmidt, bis 1946 in Hamburg tätig gewesen, in den Ruhestand. Er war ein begeisterter Mathematiker und Physiker, bis zur Intoleranz von der Priorität seiner Fächer überzeugt, für Begabte anregend und fördernd, für die andern ein Alpdruck. Verbissen um jede Mark im Etat kämpfend verdankt das Domgymnasium ihm den frühzeitigen und großzügigen Ausbau der Lehrmittelsammlung, die einem Vergleich mit manchem Hochschulinstitut standhalten kann. Immer für die Schule da und immer in der Schule da, ehrt man ihn wohl am treffendsten, wenn man sagt: „Er war mit dem Domgymnasium verheiratet." 1965 verlor das Domgymnasium zwei liebenswürdige und liebenswerte Lehrer durch den Tod. Am Sonntag, dem 31. Januar verstarb am Herzinfarkt in seinem Heim am Burgberg Studienrat Theodor Dinnesen, Altphilologe und Romanist, ein feinsinniger Musiker, der im Musikunterricht aushalf, im Orchester mitspielte und Chorleiter und Organist an der Propsteikirche war. Von einem Herzschlag wurde am dritten November in einer Deutschstunde seiner Abiturientenklasse Studienrat Georg Janssen ereilt. Er war nach dem Kriege aus Breslau zu uns gekommen, gab einen sehr gewissenhaften Deutsch- und, als bekennender Christ, glaubenstiefen Religionsunterricht. In den Jahren 1964 und 1965 traten mit den Assessoren Farke (Musik, Geographie), Goering (alte Sprachen) und Lüdicke (Mathematik, Physik) die ersten beiden Nachwuchskräfte in das Kollegium des Domgymnasiums ein, die der Schule erhalten blieben. Am 21. Januar 1967 holte sich der Herzinfarkt ein weiteres Opfer: Friedrich Lenthe, der, nach seiner Pensionierung noch sechs Jahre weiter unterrichtend, 46 Jahre am Domgymnasium als Lehrer tätig war, ist ganzen Schülergenerationen ein lebendiger Begriff, besonders als Musiklehrer und Leiter von Chor und Orchester, in den letzten Jahren zunehmend als Mathematiker und Deutschlehrer in Mittel- und Unterklassen. Der Verfasser, dessen Lehrer er von Quinta bis Oberprima war und der später 20 Jahre als Kollege mit ihm arbeitete, gedenkt dieses hervorragenden Methodikers und Pädagogen mit Achtung und Dankbarkeit!

Im August 1969 folgte Direktor Reimers seinem Amtsvorgänger Doß als Oberschulrat nach Hannover. Als neuer Direktor wurde Oberstudienrat Dr. Adolf Lagemann von Osnabrück nach hier abgeordnet und im Februar des nächsten Jahres als Direktor bestätigt. Während Doß nur drei und Reimers fünf Jahre hier blieben, verließ Dr. Lagemann erst nach sieben Jahren Verden auf den Spuren seiner Vorgänger in die Schulaufsichtsbehörde in Braunschweig, wenn dieser häufige Direktorenwechsel sich nicht beunruhigend nachteilig, wie man vielleicht vermuten könnte, auf das Domgymnasium ausgewirkt hat, liegt das in erster Linie wohl an der personellen Stabilität des Kollegiums, wobei niemand den Verfasser der Überheblichkeit zeihen wird, wenn er sich selbst weitgehend als „ruhenden Pol in der Direktorenflucht" sieht. Er nutzt aber gern diesen Augenblick, um eine tragende Säule des Domgymnasiums im Geschichtsbuch der Schule zu verzeichnen: was für einen Generalstab der la-Offizier ist, das ist für die Direktion des Domgymnasiums seit 1943 die Schulsekretärin Gynna Warneke. Sie hat seit der Pensionierung Dr. Oldecops noch jeden Direktor und dessen Vertreter das „Gehen" gelehrt!

Daß sich der Übergang von einem Direktor zum anderen stets reibungslos vollzog, lag aber zu einem großen Teil an ihnen selbst. Alle drei Direktoren waren verbindliche Persönlichkeiten, bestimmt und entscheidungsfreudig, aber keine überheblichen Autokraten, jeder in seiner Art anders, aber jeder auch anregend, befruchtend, fördernd: Kurt Doß, Germanist, Historiker und Religionslehrer, ein ruhiger, ausgleichender, wissenschaftlicher Typ, der von den Schätzen unserer Bibliothek begeistert war und in ihnen grub, nach seiner Pensionierung über Fragen der deutschen Geschichte in der Weimarer Zeit weiterarbeitete und dafür von der Kölner Universität zum Dr. phil. promoviert wurde; Holger Reimers, Neusprachler und Historiker, sehr vital, voller neuer Ideen, den älteren Kollegen oft etwas zu schnell und modern, ein starker Förderer der schon unter seinem Vorgänger angeknüpften Auslandsverbindung; Dr. Adolf Lagemann, Germanist, Lateiner und Historiker, schon in Osnabrück lange Jahre als Direktorstellvertreter tätig gewesen, brachte die nötigen Erfahrungen im Umgang mit Behörden, Kollegen, Schülern und Eltern mit, um ruhig und bestimmt die das Gymnasium umgestaltenden „Reformen" einzuleiten, von denen er in einem Rundschreiben 1973 sagt: „Hoffen wir, daß es in fünf Jahren noch ein Domgymnasium gibt, das gemeinsam mit seinen Ehemaligen seiner dann 400jährigen Geschichte gedenken kann."

Mit dem „Abbau" des Stammkollegiums hielt die Verjüngung wegen des großen Lehrermangels nur mühsam Schritt. Direktor Reimers holte aus Hamburg den Germanisten und Sportler Otto Pemöller, inzwischen Oberstudienrat, der im Sport weitgehend die Aufgaben von Oberstudienrat Ehle-ben übernahm. Da auch Oberstudienrat Krause, früher Dozent an verschiedenen Lehrerbildungsanstalten im Memelland und zuletzt in Celle, als Kunsterzieher Nachfolger Erich Wessels, 1969 in den Ruhestand trat, wurde der Kunstunterricht 1970 einem jungen Bremer, Lothar Bührmann, anvertraut, mit dem das Domgymnasium einen Kunstpädagogen gewann, der, wie auch seine Vorgänger, selbst kunstschöpferisch tätig ist. Im Herbst 1970 starb Dr. Wilhelm Bethke, Altphilologe und Germanist, lange Bibliothekar der Schule, Fachleiter für alte Sprachen, Vorsitzender des Vereins für Kunst und Wissenschaften. Im Zusammenhang mit der Darstellung der Laienspielarbeit an der Schule ist seiner schon gedacht worden. Noch einmal nahm der Tod ein Mitglied der Schulgemeinde aus unserer Mitte. 1974 starb Studiendirektor Erhard Böhnel in einer orthopädischen Klinik. Er war seit 1946, als er als Studienreferendar nach Verden kam, bis zu seinem Tode am Domgymnasium und hat hier alle Dienstgrade absolviert. Mit ihm verlor die Schule einen tüchtigen und methodisch befähigten Mathematiker.

Von drei Nachwuchslehrern, die 1970 überwiesen wurden, blieben der Germanist und Sportler Westphal und der Altphilologe und Religionslehrer Schmilz unserer Schule treu. Dieser wurde allerdings kaum im Religionsunterricht eingesetzt, da hier in zunehmendem Maße Pastoren aus Kirchen der Stadt und des Umlandes als Lehrer tätig waren. Stellvertretend für sie alle möge Pastor Rolf Witte von der Domgemeinde II genannt werden, der am längsten zu unserm Kollegium gehört und uns ein sehr angenehmer und geschätzter Mitarbeiter geworden ist. Die Geistlichen der St. Josephskirche erteilen schon seit der Amtszeit des Dechanten Mainz den Religionsunterricht für die katholischen Schüler, deren Zahl sich durch die .Zuwanderung heimatvertriebener Familien stark vermehrt hat. 1971 erhielt das Gymnasium mit Assessor Eckermann einen Germanisten und Historiker und mit Assessor Zwingelberg einen der seltenen Mathematiker. Sie sind beide geblieben und inzwischen auch schon zu Oberstudienräten aufgerückt, ebenso wie Wolfgang Drewer, Abiturient des Domgymnasiums von 1958, Lateiner und Historiker, der 1971 als Studienrat von Sulingen kam. Inzwischen sind noch zwei ehemalige Abiturienten an ihrer alten Schule tätig: Dr. Heiberg, Abiturient von 1954, und Assessor Willenbrock, Abiturient von 1970. Als neu im Lehrkörper seit 1975 sei noch die Oberstudienrätin Frau Hustedt (Deutsch, Englisch, Geschichte) genannt. Von den anderen männlichen und weiblichen Lehrkräften, die, zum Teil im Angestelltenverhältnis, kürzer oder länger seit 1972, dem Jahre der Pensionierung des Verfassers, am Domgymnasium tätig waren oder sind, könnte dieser nur eine namentliche Aufzählung geben. Sie müssen später einmal genannt und gewürdigt werden als die Mannschaft, die berufen und angetreten ist, einen neuen Schultyp zu schaffen, der, nach dem Willen seiner Schöpfer und Verteidiger, besser sein soll als die Schule, deren 400jährige Geschichte der Verfasser nachzuzeichnen versuchte.

Die letzten Striche, die in dieser Zeichnung noch fehlen, müssen denen gelten, die in den letzten Jahren die Bestellung des pädagogischen Feldes aus Altersgründen aufgaben. Zusammen mit dem Verfasser trat 1972 der Senior der Altphilologen, der langjährige Bibliothekar, der streitbare Vorkämpfer für die alten Sprachen, der Tutor der Referendare, der von seinen Schülern verehrte und von seinen Kollegen geachtete, immer einsatzfreudige, nimmermüde Oberstudienrat Dr. Hellmuth Köster endgültig in den Ruhestand. 1975 folgte der anregende und aufregende, bei Schülern und Lehrern ob manchen Bonmots in erinnernden Gesprächen fortlebende Mathematiker Heinz „Zeus" Schwarze, anregend durch seine Vorträge auf Lehrgängen und Tagungen für viele Fachkollegen in weitem Umkreis. Es ging Reinhard Goy, der wie kaum ein anderer mit den Schülern der Unter-und Mittelstufe umzugehen verstand im Sport, in der Mathematik und, als Wanderfreund und großartiger Kenner der heimischen Pflanzen- und Tierwelt, im naturkundlichen Unterricht. 1976 gab Oberstudienrat Friedrich Koy seine Tätigkeit auf, der Senior und langjährige Fachleiter der Germanisten. Ein philosophisch gebildeter und interessierter Deutsch- und Religionslehrer, der in seinem Unterricht und in den philosophischen Arbeitsgemeinschaften seine Schüler forderte, anregte und bereicherte. Wer hören und lernen wollte, konnte viel mitnehmen. Im selben Jahre wurde auch Rudolf Beuthel, Biologe und Chemiker, Leiter der Photo-A.G. und des Labors, Betreuer der Aquarien, Züchter interessanter Lebewesen (z. B. der seltenen und wandlungsfähigen Axolotl) pensioniert. Und dann folgten die letzten der „Alten Garde": Kurt Haselbach, Neuphilologe und Sportlehrer, Fachleiter und Organisator der Unescoarbeit, der als Reiseleiter und kundiger Führer viele Auslandsreisen mit Schülern und Erwachsenen durchführte, der erste Gesandte der Stadt zur Herstellung einer jumelage [= Städtepartnerschaft] mit Saumur, als feinsinniger Pianist führend im Musikleben Verdens tätig, immer freundlich, immer hilfsbereit, immer „im Einsatz". Ferner Dr. Karl-Heinz Suling aus Bremen, ein gewissenhafter Deutschlehrer, ein vorzüglicher Anglist und Englandkenner, für lange Zeit der Geograph der Schule, mit ausgeprägtem Interesse für Geologie und Astronomie, für die er in freiwilligen Arbeitsgemeinschaften zu begeistern wußte. Und schließlich Karl Nerger, der 1953 vom Kaiser-Wilhelm-Gymnasium in Hannover zu uns gekommen war: Germanist und Geograph, besonders aber Historiker und Lehrer der Gemeinschaftskunde auf der Oberstufe. Als Stadtarchivar wird er hoffentlich noch viele Jahre von der Vergangenheit unserer Heimat berichten, gewissenhaft in seiner Forschung, besonnen und abgewogen in Formulierung und Urteil, wie es seinem Wesen entspricht. Nach 30jähriger Tätigkeit am Domgymnasium scheidet im Jubiläumsjahr auch Rudolf Ehleben. Mit schönstem Erfolg setzte er viele Jahre das Erbe Erich Wessels im Sportunterricht fort. Zäh an seiner Ansicht festhaltend hat er entscheidenden Anteil an der Planung der neuen Sporthalle, wie schon früher bei der Gestaltung der biologischen Räume und des Aquarionflurs im Neubau. Zusammenstellung und Betreuung der umfangreichen biologischen Lehrmittelsammlung und Anlage und jahrelange Pflege des Schulgartens sind sein Werk.

Der Verfasser hat sie alle Revue passieren lassen, die im besten Alter und mit viel Idealismus nach dem Kriege einen neuen Anfang machten und in der Mehrzahl beim Jubiläum 1953 schon dabei waren. Sie sind jetzt abgetreten und haben zu einem neuen Beginn einer anderen Generation das Feld geräumt. Damals war auch schon dabei der Mathematiker und Physiker Karl-Friedrich Warneke, der nach der Pensionierung Kleinschmidts dessen Werk ein treuer Sachwalter wurde und seit Jahren umsichtig und überlegen als Vertrauenslehrer sich um ein gutes Betriebsklima bemühte. Er kann die Jahre, die er noch Dienst tun muß, bereits an den Fingern einer Hand abzählen. Ob es den beiden ändern, den Kollegen Eidinger (seit 1955 in Verden, Bibliothekar, Vertrauenslehrer, lange Obmann des Philologenverbandes, Anglist und Germanist) und Grünefeld (Lateiner und Geograph, seit 1973 Studiendirektor und Vertreter des Direktors) gelingen wird, etwas von der Tradition des Domgymnasiums, von dem besonderen Geist., der in dieser Schule lebte, hinüberzuretten in die neue Zeit?

Nicht der Vollständigkeit und Ordnung halber, sondern weil es ein Gebot der Dankbarkeit und des Auslands ist, seien zum Schluß dieser Darstellung die Namen der Männer der Erinnerung aufbewahrt, die mit Hilfe ihrer Angehörigen und der Putzfrauen dafür sorgten, daß ein geordneter Schulbetrieb überhaupt möglich war. Es waren Padberg, der erste Hausmeister im Gebäude an der Grünen Straße, der während des Dienstes tödlich verunglückte, dann, seit 1908, der Hausinspektor Robert Härtung, unter Oldecop und Brandt der Betriebsassistent Gerke, ab 1947 der aus Ostpreußen gekommene Schwerbeschädigte Hildebrandt. Seit 20 Jahren waltet nun schon Hausmeister Meyers mit bewundernswertem Gleichmut seines nicht leichten Amtes. Daß so mancher Klassenraum, der am Mittag nach Unterrichtsende oft als „Saustall" von seinen „Bewohnern" zurückgelassen wird, am nächsten Morgen wieder sauber und freundlich wirkt, ist dem Fleiß und der unendlichen Geduld der Putzfrauen zuzuschreiben. Der Verfasser möchte auch ihrer mit Anerkennung und Dank in dieser geschichtlichen Rückschau gedenken.

In diesen Märztagen des Jahres 1978, da sich am 29. zum 400sten Male der Tag der „Schuel Fundation" jährt, wurde die Leitung des vom ersten evangelischen Bischof am Dom nach den Erziehungsvorstellungen von Deutschlands großem Reformator gegründeten Gymnasiums Dr. Clemens-August Borgerding übertragen.

 

Wilhelm Meineke